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Dienstag, 15. Februar 2011

Die Wachheit im freien Wollen









Was mich in letzter Zeit immer mehr beschäftigt, ist die Frage des Übergriffs.

Man greift in den freien Willen des anderen Menschen ein. Oder anders gesagt: wir lassen einen Willensübergriff zu.


Unbewusst schreiten wir aber im Alltag unzählige Male auf eine verhältnismässig harmlose Weise die Grenze des eigenen freien Willens, so dass wir in das Gebiet des freien Willens eines anderen Menschen unrechtmässig eindringen und dort unseren eigenen konkret fortsetzen versuchen.
Das geschieht meistens nicht bewusst, denn man nimmt die Grenze der Willensfreiheit normalerweise nicht sehr klar wahr. Diese Wahrnehmung ist wirklich nicht einfach.

Die Wachheit im Fühlen ist bereits nicht einfach. Viele können es nicht so gut, ignorieren viele Gefühle und Empfindungen, die ihrem Verstandeskonzept nicht entsprechen. Solche Gewohnheit lähmt die lebendige Wachheit im Fühlen, denn es wird von uns verboten, manche Gefühle in uns zu empfinden. Dann kann man nicht mehr wahrhaftig die Welt der Gefühle spiegeln, wenn man immer wieder aus dem Kopf das Gefühl steuern versucht. Die eigene Gefühlswelt, aber auch die Gefühle und Empfindungen eines anderen Menschen können nicht wahrhaftig wahrgenommen werden. Dennoch kann man die Gefühle anschauen lernen, ohne sie zu verurteilen. Das ist nicht leicht, aber ich persönlich habe die Erfahrungen, dass es doch die gute Wege dafür gibt.

Aber die Wachheit im Wollen ist eine noch einmal schwierigere Angelegenheit. Der Wille liegt noch eine Stufe tiefer in der menschlichen Wesenheit. Diejenigen, die wenig abhängig von den Autoritäten sind und ein klares Freiheitsbewusstsein haben, haben meistens auch eine Wachheit in ihrem Wollen. Dennoch braucht man mehr als nur die Wachheit, um die Grenze des Willens bewusst schützen zu können. Ein Übergriff ist heute fast eine Alltagsangelegenheit. Es hilft nicht mehr viel, wenn man dem Menschen vorwirft, der einen Übergriff getan hat. Wir werden meistens Opfer aber auch Täter, wenn wir die kleinen und winzigen Fälle dazuzählen. Ich denke, es ist ein Phänomen, das eine Lektion des Ich ist. Wir sollen durch solche Schwierigkeiten hindurch in unserem Wollen wacher, klarer und stärker werden.

So lange es sich noch nur um die Ideen handelt, dann ist es noch nicht ein wirklicher Übergriff. Aber wenn es um die konkrete Handlung geht, dann wird das Eindringen eine ernste Störung, die die Persönlichkeitskraft des betreffenden Menschen erheblich schwächt.

Man weiss nicht, wieso man sich so schlecht und schwach fühlt. Auch kann man nicht verstehen, wieso man eine Entscheidung schwer selbstständig treffen kann. "Was will ich ganz und gar aus meinem Herzen heraus?" das kann man nicht mehr empfinden, wenn man einen schwer wiegenden Übergriff zugelassen hat und seinem wahren Willen den Rücken gekehrt hat. Und das kann auch ziemlich unbewusst geschehen. Die Ausmass des Geschehens kann man selber oft nicht richtig einschätzen. Heilen kann man es, wenn man den Moment wieder findet, wo man seinen Willen ignorier hat. Und man lernt ihn wieder voll zu respektieren, im Ort des wahren Willens anzukommen. Dann kann man sich wieder damit voll identifizieren.



Z.B. Jemand diktiert mir einen mir fremden Willensinhalt, den ich zu erfüllen habe.
Ich empfinde innerlich einen anderen Willeninhalt, den ich innerlich folgen will.
Der andere überzeugt mich von seinem Inhalt, weil er mir intellektuell weit überlegen ist. Aber dabei geht es nicht nur um die Idee, sondern um eine konkrete Handlung, die mich betrifft. Durch die geschickten intelletuellen Begründungen werde ich zu einer fremden Willenshandlung geführt, obwohl ich in der Tiefe meiner Seele weiss, das stimmt nicht überein, mit dem, was ich fühle und will. Ich schlafe willensmässig in den anderen Menschen ein durch eine intellektuelle Überzeugung. Dieser Übergriff geschieht durch das Denken. Ich höre auf, selber zu denken, weil der andere mir so erhaben und stark im Denken erscheint und ich nicht so klar begründen kann, wieso ich es anders will. Deshalb gebe ich meinen Willensinhalt auf, obwohl die Seele zunächst unweigerlich mir sich meldete: Ich fühle und denke und will anders.

Oder es kann sein, ich werde direkt willensmässig überwältigt. Der Wille, der mir entgegenkommt ist stark, so dass ich mich in meinem freien Willen betäubt fühle und in dieser Willensohnmacht den eigenen Willen aufgebe, obwohl ich zunächst deutlich spürte: Ich fühle und will anders. Der eigene Wille kommt wie ausgelöscht vor und in dieser Ohnmacht gehe ich auf den Willensinhalt des anderen Menschen ein. Da spielt der Übergriff direkt stark im Gebiet des Willens ab.

Ein Übergriff kann durch das Fühlen stark zustande kommen. Jemand kommt und sagt, was ich zu tun habe. Und das stimmt nicht mit dem überein, was ich in mir innerlich tief als mein Willensimpuls empfinde. Der andere bewirkt in mir z.B. ein Gefühl, wenn ich seinen Willen nicht akzeptiere, dann bin ich schuld, moralisch fragwürdig u.s.w. Eine starke moralisierende und zwingende Haltung des anderen kann in mir den freien Willen auslöschen. Und dann schlafe ich willenlos in den fremden Willen hinein und verliere ich mich darin, handle nach dem, wie es mir gesagt wurde.



Ein Übergriff kann aber jemandem gelingen, nur wenn ich es zulasse. Wenn jemand damit beginnt, ist er noch nicht geschehen.

Oft kommt ein Übergriff durch das komplizierte Zusammenwirken aller drei Gebiete von Denken, Fühlen, Wollen zustande.
Derjenige, der einen Übergriff macht, muss überhaupt nicht eine böse Absicht haben. Sogar meistens hat man dabei nur einen guten Willen. Aber was in seinem eigenen Gebiet zu einem guten Willen wird, kann zu einem nicht guten werden, wenn die eigene Freiheitsgrenze überschritten wird.


Junko Althaus








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